Wie feiern wir jetzt Gottesdienst?

Eine Entscheidungshilfe für die Übergangszeit auf dem Weg zur Normalität

Vorüberlegungen

In der Coronakrise können Nähe und Gemeinschaft gefährlich werden. Da drückt sich Liebe durch Abstand aus. Das hat Folgen für unsere Gottesdienste. Für die Teilnehmenden ist ein Spagat zu versuchen zwischen den Mutigen, die mehr wollen und den Ängstlichen, zwischen Familien mit Kindern und Älteren.

Eine theologische Grundhaltung für die Gottesdienstplanung sehen wir darin, „die Schwachen“ und Schutzbedürftigen im Blick zu behalten. Das sollte auch in der Außenwirkung unserer Gottesdienste wahrnehmbar sein.

Als Fachgruppe möchten wir eine Hilfe zur Argumentation in den Bezirken anbieten. Darin beschreiben wir drei mögliche Wege zur gottesdienstlichen Gestaltung der kommenden Wochen. Wir hoffen, dass sich viele Bezirke in diesen Modellen wiederfinden. Außerdem verweisen wir auf weitere kreative Formate, die uns als sinnvolle Ergänzungen erscheinen. Wir wollen in dieser Zeit keine exklusiven Wege vorschreiben, sondern es leichter machen, einen passenden Weg für Bezirk und Gemeinde zu finden und nützliche Hinweise zur Verfügung stellen.

Aus unserer Sicht empfiehlt es sich, nun angesichts der neuen Gesetzeslage ein Gottesdienst-Format zu wählen, das für die nächsten Wochen bestehen kann, um Planbarkeit und Konstanz zu gewährleisten. Die Zeit um den 15. Juni bietet sich zur erneuten Auswertung der Rahmenbedingungen an.

Drei Modelle

Wir gehen davon aus, dass in den meisten Gemeinden die Gottesdienste ein „Standbein“ der Gemeindearbeit bilden.Darum beschreiben wir drei Modelle, die den Gottesdienst in unterschiedlicher Weise als stabilen Faktor definieren. Um dieses „Standbein“ herum können „Spielbein“-Formate entwickelt werden, die Projekt- oder Eventcharakter haben und flexibel an die Ressourcen der Gemeinde sowie die gesetzlichen Entwicklungen angepasst werden können.

Die Formulierung vom „Standbein“ und „Spielbein“ bezieht sich auf die menschliche Art zu gehen, zu tanzen u.v.m.: Um die perfekte Balance aus Stabilität und Flexibilität zu erhalten, braucht es ein Bein, das feststeht und auf dem das Gewicht liegt. Das andere Bein erhält dann die Freiheit, sich zu bewegen und Schwankungen auszugleichen. Gerade von dieser Mischung aus Sicherheit und Freiheit versprechen wir uns fruchtbare Entwicklungen für die Gemeindearbeit – trotz Corona.

Standbein „Basis-Gottesdienst auf Abstand“

Es werden wieder Gottesdienste im Kirchenraum mit physischer Präsenz gefeiert. Die Beachtung des Hygieneschutzes wird vorausgesetzt. Die liturgische Ausgestaltung dieser Gottesdienste ist auf die Grundelemente beschränkt. Hierbei werden Elemente ohne physischen Bezug stärker gewichtet. Liturgische Handlungen mit physischem Bezug werden minimalisiert und/oder spiritualisiert.

  1. Voraussetzungen:
    • Die baulichen Gegebenheiten müssen so sein, dass die hygienischen Vorgaben umgesetzt werden können.
    • Eine ausreichend große Kirche muss vorhanden sein, um einem möglichst großen Prozentsatz der Gemeinde trotz Abständen Platz zu bieten.
    • Die technische Ausstattung für das Beamen von Liedern und Verbreitung von Audiosignalen auch über große Entfernung muss vorhanden sein.
    • Die Gottesdienstbesucher/innen müssen bereit sein, ihre persönlichen Daten anzugeben, um eine Nachverfolgung zu gewährleisten.
    • Es braucht Musiker/innen, die solistisch/instrumental einen Gottesdienst gestalten können.
  2. Vorteile dieses „Standbeins“:
    • Vertraute Formen (gemeinsames Gebet, Lesung, Lieder) bringen Sicherheit.
    • Das Erleben des Gottesdienstraumes hilft beim Fokussieren auf die Gemeinschaft mit Gott und bietet einen Kontrast und Abwechslung zu den eigenen vier Wänden.
    • Die sichtbare Gemeinschaft führt zu einer Selbstvergewisserung als Gemeinde: Es gibt uns noch, dieses soziale Netzwerk trägt. Diese Selbstvergewisserung hat auch Außenwirkung: Die Kirche öffnet ihre Türen.  
    • Persönliche Interaktion ist möglich: Gläubige können ihre Anliegen, Sorgen, Fürbitten teilen und auf die Äußerungen anderer reagieren. Im Vergleich zu vielen Onlineformaten ist der Kreis überschaubar und persönlich bekannt. 
    • Musik kann (z.B. durch Solisten/Instrumentalstücke) gestaltet werden.
  3. Nachteile dieses „Standbeins“:
    • Einige Menschen sehnen sich nach (gottesdienstlicher) Normalität. Die Gottesdienste unter den hygienischen Rahmenbedingungen werden dieser Sehnsucht vermutlich nicht in allen Belangen entsprechen können. Sie „simulieren“ Normalität, obwohl der Mangel sicht- und spürbar wird.
    • Berührungen/körperliche Gemeinschaft sind nicht möglich.
    • Es bleibt ein hygienisches Restrisiko. Ansteckungen können nicht ausgeschlossen werden.
    • Bei strenger Auslegung bleiben Risikogruppen vom gottesdienstlichen Vollzug ausgeschlossen, bis ein Impfstoff verbreitet wurde.
    • Gleiches gilt für Kinder, bei denen die Einhaltung der hygienischen Vorgaben nicht gewährleistet werden kann.
    • Die Abstandsregelungen bringen in der Regel zahlenmäßige Begrenzungen mit sich, die den üblichen Gottesdienstbesuch meist unterschreiten.
    • Liturgische Einschränkungen (kein Chor/Gemeinde-Gesang, keine Bläsermusik, kein physischer Kontakt) bringen es mit sich, dass neue Formate und Liturgien eingeführt und ausprobiert werden müssen. Dies steht eventuell im Kontrast zum Bedürfnis der Gottesdienstbesucher/innen.

Standbein Online-Format

Einige Gemeinden haben in den letzten Wochen mit viel Aufwand und teils steilen Lernkurven kreative Online-Formate entwickelt, um weiterhin geistliche Gemeinschaft zu ermöglichen. Aus gutem Grund: Onlineformate bieten viele Möglichkeiten, die während Corona anderweitig (auch unter den neuen Richtlinien) nur schwer zu erreichen sind. Wir ermutigen deshalb Gemeinden, die ein funktionierendes Online-Format entwickelt haben, dieses Standbein nicht voreilig aufzugeben. Stattdessen schlagen wir vor, das Online-Format als „Standbein“ und vollwertiges Gottesdienstformat zu wählen. Darüber hinaus kommt als „Spielbein“ dann ein „Gottesdienst auf Abstand“ z.B. regional umgesetzt, zu besonderen Gelegenheiten etc. hinzu. Eine „Zwei-Beinigkeit“ braucht allerdings auch ein realistisches Einschätzen der Kräfte.

  1. Voraussetzungen:
    • Um ansprechende Formate zu produzieren, braucht es technisches Fachwissen und entsprechende Ausstattung.
    • Digitale Formate brauchen ein anderes Auftreten, eine andere liturgische Präsenz, um für ZuschauerInnen attraktiv zu sein.
    • Die Gemeinde muss (zumindest mehrheitlich) digital erreichbar sein.
  2. Vorteile dieses „Standbeins“:
    • Es besteht eine relative große Formvielfalt in Bezug auf Liturgien (von klassischem Gottesdienst bis Kurzimpuls usw.) und musikalische Gestaltung.
    • Die Erfahrung einer „zeitgleichen“ Gemeinschaft (wenn „live“ übertragen wird) bietet Halt im Wochenrhythmus und ermöglicht digitale Partizipation.
    • Weil viele Wochenabläufe durch die Pandemie verändert sind, erlaubt ein abrufbares Online-Angebot den Gläubigen, auch zeitlich versetzt den Gottesdienst zu erfahren.
    • Die Teilnahme an Online-Formaten ist hygienisch unbedenklich.
    • Orts- und Altersgrenzen sowie gesundheitliche Einschränkungen stellen in der Regel kein Hindernis für die Teilnahme dar.
    • Onlineformate sind relativ unbeeinträchtigt von den wöchentlichen Lockerungsdiskussionen und daher leichter und längerfristig planbar. 
    • Onlineformate haben in der Regel eine erhöhte Reichweite, die auch gemeindefernen ZuschauerInnen die Teilnahme ermöglicht.
  3. Nachteile dieses „Standbeins“:
    • Online-Formate haben oft technische Hürden, die manchen Menschen die Teilnahme erschwert.
    • In der Regel ist die Aufmerksamkeitsspanne beim digitalen Konsum kürzer und es fehlt der Ortswechsel in einen sakralen Raum, der bei der Konzentration hilfreich sein kann.
    • Durch die erhöhte Reichweite ist es eine größere Herausforderung, die Zielgruppe des Formats zu definieren. Die digitale Öffentlichkeit muss bei den Formaten und Inhalten mitgedacht werden. Urheberrechte sind in anderer Weise zu bedenken.
    • Persönliche Inhalte können nicht ohne Weiteres geteilt werden. Die Datenschutzrechte müssen in besonderem Maße beachtet werden.
    • Je nach Veröffentlichung sind die Inhalte ewig abrufbar. Das kann für Mitwirkende ein Hindernis darstellen.

Standbein Kleingruppen-Gottesdienst

Diesem Modell liegt der Gedanke zugrunde, wie Gottesdienst trotz der aktuellen Situation gefeiert werden kann. Der Fokus soll nicht auf den Entbehrungen, sondern auf den Chancen liegen.
Ausgangspunkt der Idee ist, den Gottesdienst persönlich und interaktiv zu gestalten. Trotz physischem Abstand soll eine gemeinschaftliche Atmosphäre entstehen. Alle dürfen im Gottesdienst aktiv werden. Auch für diejenigen, die nicht gerne in Gruppen reden, ist etwas dabei.

Ausgangslage ist, dass die Feiernden (mit Abstand) im Kreis (oder Halbkreis) sitzen.  Darin kann sich – je nach räumlicher Situation – der Abendmahlstisch oder eine „gestaltete Mitte” mit Kreuz und Kerze befinden. Die Feier bewegt sich an der Schnittstelle von Hauskreis, Bibelgespräch und Gottesdienst. Sie kann je nach Kultur der Gemeinde angepasst werden.

  1. Voraussetzungen:
    • Die baulichen Gegebenheiten müssen so sein, dass die hygienischen Vorgaben umgesetzt werden können.
    • Es ist wichtig, dass das Format gottesdienstlichen Charakter hat. In Teilen Deutschlands ist bislang unklar, ob abseits der Gottesdienste kirchliche Veranstaltungen erlaubt sind.
  2. Vorteile dieses „Standbeins“:
    • Persönliche Interaktion ist möglich: Gläubige können ihre Anliegen, Sorgen, Fürbitten teilen und auf die Äußerungen anderer reagieren. Im Vergleich zu vielen Onlineformaten ist der Kreis überschaubar und persönlich bekannt.
    • Der Gottesdienstraum ist vertraut und geschützt. Er bietet Abwechslung zu den eigenen vier Wänden.
    • Die gegenseitige Wahrnehmung steht im Vordergrund. Soziale Kontakte werden gestärkt, trotz Abstand.
    • Durch das besondere Format wird die Krisensituation ernst genommen. Es wird keine gottesdienstliche Normalität simuliert.
    • Es muss kein/e Pastor/in anwesend sein. Dies kann vor allem dann hilfreich sein, wenn ein/e Hauptamtliche/r für viele Gemeinden zuständig ist, selbst zur Risikogruppe gehört oder krankheitsbedingt ausfällt. Das Priestertum aller Gläubigen wird betont.
    • Das Format ist skalierbar und gerade auch für kleinere Gottesdiensträume geeignet.
    • Da es vom üblichen Gottesdienstformat unterschieden ist, fällt eine zeitliche Loslösung vom Sonntagmorgen leichter. Dies kann helfen, auf die Lebensumstände und Bedürfnisse der Gemeindeglieder einzugehen.
    • Das Format ist gut kombinierbar mit parallelen Online-Gottesdiensten, da ein anderer Fokus gesetzt wird, der gerade die „Schwachstellen“ des Online-Formates ausgleicht.
  3. Nachteile dieses „Standbeins“:
    • Bei jeder physischen Gemeinschaft bleibt ein hygienisches Restrisiko.
    • Auch hier sind bei strenger Auslegung die Risikogruppen ausgeschlossen, bis ein Impfstoff bereitsteht. Durch kleinere Gruppen, die sich eventuell in festen Konstellationen treffen, kann das Infektionsrisiko jedoch reduziert werden.
    • Auch Kinder sind eher ausgeschlossen, sofern eine Einhaltung der Hygienevorschriften nicht gewährleistet werden kann.
    • Es handelt sich um ein neues, ungewohntes Format, auf das sich alle Beteiligten einstellen müssen. Zu Beginn bietet es vielleicht nicht die rituelle Geborgenheit, die sich manche erhoffen.

Spielbeine – Anregungen

Zusätzlich zu den oben genannten „Standbein“-Modellen können die folgenden „Spielbein“-Formate eine hilfreiche Ergänzung bieten. Sie können die Elemente stärken, die im gewählten Gottesdienstmodell eher zu kurz kommen. Wir verweisen hier gerne auch auf die guten Impulse, die von MitarbeiterInnen anderer Kirchen erarbeitet wurden. Bei diesen Formaten ist es besonders wichtig, die örtlichen Regelungen zu beachten welche Art von Veranstaltungen erlaubt sind.

Pilgerandacht
Rundweg mit max. 10 Teilnehmern, geistliche Impulse unterwegs

Erzählstunde
biblische Vorlesestunde für Kinder/Familien

Outdoor/Picknickgottesdienst
Sowohl das Format Basis-Gottesdienst als auch der Kleingruppengottesdienst sind gut für Gemeindewiesen o.Ä. geeignet. Hier gelten (je nach Bundesland) erweiterte Regelungen.

Gleitzeitgottesdienst Go-through-Gottesdienst
Kirche mit liturgischen Stationen

Impulskirche mit Angeboten
-Offene Kirche mit Impulsen/Atmosphäre zum Gebet/Einkehr – Beispiel EMK-Esslingen

Segensdusche
Segnung von Einzelnen/Paaren

Zentrum Verkündigung – Offene Kirchen
Grundsätzliches zu Offenen Kirchen

Kirche@home
Sonderseite der Fachgruppe Gottesdienst/Agende zu Corona

Eine Anmerkung zu den Kindern

Kinder sind in keinem unserer Modelle vorgesehen – und das bedauern wir sehr, denn wir sehen die Dringlichkeit und Notwendigkeit, gerade als „Leib Christi“ alle Generationen „in Christus“ zu verbinden. Unter den derzeitigen Bedingungen wird es zumindest mit jüngeren Kindern nicht möglich sein, Gottesdienst zu feiern. Auch Sonntagsschule/ Kindergottesdienst wird auf absehbare Zeit nicht stattfinden können, da immer neu zusammengewürfelte Kindergruppen epidemiologisch ungünstig sind. Nicht jede Gemeinde hat die Möglichkeit, ein Videoformat für die Kinder anzubieten. Trotzdem sollten wir die Kinder im Blick behalten und den Kontakt zu ihnen halten. Einige Vorschläge dazu:

  • einen Brief schicken
  • ein Päckchen vor die Tür legen
  • Kinderbibeln verschenken
  • eine Art Schnitzeljagd mit verschiedenen kindgerechten geistlichen Stationen für Kinder anbieten oder eine Rallye durchs Kirchengebäude – natürlich nach Familien getrennt
  • Gemeinderäume stundenweise für einzelne Familien öffnen oder Spielzeug aus den Kinderräumen wochenweise verleihen (dazwischen genug zeitlichen Abstand oder Desinfektion)
  • Ein (separat voneinander gestaltetes) Gemeinschaftsbild zusammenstellen und in den Schaukasten hängen

Darüber hinaus verweisen wir auf die Vorschläge für das Feiern von Familiengottesdiensten zu Hause.

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