Analoge Gottesdienste nach dem Lockdown (Liturgische FAQs)

 

 

Vorbemerkungen

Liturgisches Verhalten ist abwägendes Verhalten. In der gegenwärtigen Situation können zwei Pole für diese Abwägung wahrgenommen werden. Da sind die Einen, die in Gottesdiensten auch physisch mehr wagen möchten (bspw. den Einsatz von Kirchen- und Bläserchören). Und es gibt die Vorsichtigeren, die noch nicht wieder in die Kirche kommen oder die zwar kommen, dort aber gewisse Schutzmaßnahmen erwarten. Zwischen diesen Bedürfnissen agiert liturgisches Verhalten.
Die Fachgruppe für Gottesdienst und Agende plädiert für ein behutsames Agieren in der Gottesdienst­planung, welches die Vorsichtigen und damit „die Schwachen“ und Schutzbedürftigen im Blick behält. Das sollte auch in der Außenwirkung unserer Gottesdienste wahrnehmbar sein.

1         Liturgietheologische Grundlagen

Die christliche Liturgie speist sich aus zwei grundlegenden Elementen[1]:

a) aus einem auf Gestalt drängenden Element, dogmatisch gesprochen: dem Handeln Gottes, wie es bspw. in der Schöpfung und in der Menschwerdung seines Sohnes (Gal 4,4-6 u.a.) sichtbar wird,

b) aus einem spiritualisierenden, vergeistigenden Element, dogmatisch gesprochen: aus einer auf Gott und sein Reich gerichteten zukünftigen Hoffnung (Phil 3, 12-14 u.a.), wie sie sich bspw. im Wirken des Heiligen Geistes beim Beten (Röm 8, 26f u.a.) erkennen lässt.

Diese beiden Aktionsstränge, Gottes auf Gestalt drängendes Handeln und der darauf antwortende menschliche Anteil (wie bspw. die Verbalform des Betens), sind aufeinander bezogen.

In der Coronazeit mit ihren notwendigen physischen Distanzierungen[2] können aus diesen beiden Aktionssträngen liturgische Lösungen begründet, abgeleitet und neu entwickelt werden.

Dazu hilft die Reflexion und eventuelle Neubestimmung des Verhältnisses von körperlich-gestaltlicher Präsenz und vergeistigenden, spirituell berührenden Elementen.

Konkret kann das heißen: Es ist einfacher, in einer Predigt über Gottes Liebe zu reden – ohne physischen Kontakt –, als in einer Kindertaufe die berührende Liebe Gottes erlebbar zu machen, wenn ich den Regeln eines „physical distancing“ folge.

Bei der Vorbereitung von Gottesdiensten unter Beachtung des Hygienekonzepts unserer Kirche kann die Reflexion des Verhältnisses der beiden oben ausgeführten Aktionsstränge helfen, zu konkreten Gestaltideen zu finden. Die folgenden Grundsätze sind aus den beiden Aktionssträngen entnommen und wollen mit ihren Beispielen Hilfen zur Anleitung und konkreten Umsetzung bieten.

2         Zwei Grundsätze für die Vorbereitung von Gottesdiensten

2.1      Die Grundvollzüge eines Gottesdienstes ohne direkten physischen Bezug zu anderen Menschen stärken

Hierzu zählen:

  • alle klanglichen Aktivitäten, alle Aktivitäten, die mit Wort, Sprache und Klang vermittelt werden. Dazu zählen Lesung, Predigt wie auch solistischer Gesang, hinzu kommen Orgel- bzw. Klaviermusik etc.
  • der bewusste Einsatz von Zeichen und Symbolen: Segens- bzw. Gebetsgesten, Kerzen entzünden, Verwenden von Figuren und Gegenständen zum Erzählen biblischer Geschichten (Egli-Figuren, Lego, GodlyPlay etc.)
  • der bewusste Einsatz des Körpers im Raum: bewusstes Stehen oder Sitzen, Strecken, Knien, Drehen (ohne den Mindestabstand zu verletzen) – unter freiem Himmel bestehen hier noch mehr Möglichkeiten (zusätzlich zur geringeren Infektionsgefahr)
  • Der Abstand für liturgisch handelnde Personen ohne Mundschutz beträgt mindestens 4 bis 5 m, mit Mundschutz mindestens 1,50 m (bitte die unterschiedlichen aktuellen regionalen Regelungen beachten).
  • ACHTUNG: Bitte darauf achten, dass die Aktivitäten nicht zu wortlastig werden.
  • bewusst Stille einplanen und dazu anleiten…

2.2      Liturgische Aktivitäten mit physischem Bezug zu anderen Menschen minimalisieren und/oder spiritualisieren

Deshalb legt sich der Verzicht auf folgende Dinge und Aktivitäten nahe:

  • auf zu viel körperliche Nähe im Kirchraum, weil das Abstandsgebot gilt (im Ein- bzw. Ausgangsbereich der Kirche und während der Mahlfeier Einbahn­stra­ßenregelungen anstreben)
  • auf den Gemeindegesang wegen des erhöhten Infektionsrisikos durch Tröpfchenbildung
  • auf Gesangbücher wegen der Schmierinfektionsgefahr (unter Beachtung von Liedrechten können Beamer oder Einweg-Liedzettel Verwendung finden)
  • auf den Einsatz von Bläser- und Kirchenchören wegen der vermehrten Aerosolbildung
  • auf den Gemeinschaftskelch bei der Mahlfeier (s.u.) wegen der Tröpfcheninfektion
  • eine größere Anzahl von liturgisch Handelnden bzw. Teilnehmenden wegen der vermehrten Luftbewegungen und der damit verbundenen Tröpfchenbewegungen im Raum
  • auf Gottesdienste mit langer Dauer, da ein längerer Aufenthalt in geschlossenen Räumen die Infektionsgefahr erhöht (kurze Gottesdienste erleichtern auch Familien mit Kindern die Teilnahme)
  • auf alle Berührungen (Handschlag, Umarmungen beim Friedensgruß und ähnliche Situationen, Begrüßung von Banknachbarn, An-die-Hand-Nehmen in der Mahlfeier, beim Segnen …; bei Einsegnungen, Trauungen etc. kann ohne Berührungen gesegnet werden)
  • auf das Kollektieren im Gottesdienst, während die Körbchen durch die Reihen gehen (wegen der Schmierinfektionsgefahr kann die Kollekte am Ausgang gesammelt und nach dem Gottesdienst entweder mit Gummihandschuhen oder einige Tage später gezählt werden)

3         Beispiele

3.1      Mahlfeier

Ungern, aber unter den aktuellen Umständen noch notwendig, ist ein Verzicht auf die Mahlfeier angeraten.

Wer sich dennoch für eine Mahlfeier entscheidet, muss sich um Formen bemühen, die den obigen beiden Grundsätzen unter 2 entsprechen.

Deshalb sollte der Gemeinde vor Beginn der Mahlfeier erklärt werden, dass aufgrund der aktuellen Bedingungen schmerzlich auf Folgendes verzichtet werden muss:

  • auf den Friedensgruß (Praxistipp: Friedensgruß ohne körperliche Berührungen bspw. mit Winken oder Zuwendung mit Hilfe der Gesichtsmimik auf Abstand praktizieren, beim Tragen eines Mundschutzes evtl. mit den Augen lächeln)
  • auf die Verwendung eines Gemeinschaftskelchs
  • auf die Praxis der „Intinctio“ (Eintauchen), weil von der Hand Krankheitserreger auf die Oblate übertragen werden und von dort in den Kelch gelangen können
  • auf die Reichung des Kelches (Mahlfeier in einer Gestalt/communio sub una specie)

Zu empfehlen ist:

  • die Verwendung von einmalig verwendeten Einzelkelchen (in Gemeinden, wo dies eingeführt ist), da eine hygienisch korrekte Reinigung während der Liturgie schwierig ist
  • die Feier als Wandelmahlfeier (Praxistipp: an einer ersten Station eine Oblate, an einer zweiten Station Einzelkelche ausgeben und an einem dritten Ort die Einzelkelche abstellen)
  • die Mahlfeier in einer Gestalt in Form einerWandelmahlfeier mit Brot oder mit Hostien (Praxistipp: die Hostien mit einer Zange für Würfelzucker austeilen und oder Gummihandschuhe tragen, damit die Hände keinen Kontakt mit Brot oder Hostien haben, austeilende Personen sollen sich deutlich sichtbar vor der Austeilung die Hände desinfizieren, zur Desinfektion siehe unten)

3.2      Taufen

Kann eine Taufe nicht aufgeschoben werden, sind das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und eine entsprechende Handhygiene (siehe unten) für liturgisch handelnde Personen notwendig.

Dem Hygieneschutz wird ebenso Rechnung getragen, wenn der Pastor oder die Pastorin die Taufe aus einem ausreichenden räumlichen Abstand anleitet und ein Kirchenglied, das mit dem/der zu Taufenden in häuslicher Gemeinschaft lebt (z.B. ein Elternteil), die Taufhandlung ausführt[3].

4         Weitere liturgische Aktivitäten und Praxistipps

4.1      Begrüßungen

  • in der Begrüßung im Teil „Ankommen – Gott bringt uns zusammen“ der Gemeinde erklären, wie sie sich unter den veränderten Bedingungen im Gottesdienst verhalten soll; den räumlichen Bedingungen entsprechend sind klare Aussagen zum gottesdienstlichen Verhalten und zur Hygiene nötig, um Sicherheit zu geben

4.2      Segenshandlungen bspw. bei Einsegnungen oder Trauungen

  • Desinfektion der Hände in das sichtbare liturgische Handeln einbetten
  • von hinten segnen (den Rücken stärken), dabei ist eine gemeinsame Blickrichtung zum Abendmahlstisch oder zur Gemeinde möglich
  • Segnen ohne körperliche Berührung
  • auf Abstand mit beiden Armen einen „Segensraum“ bilden, die Gemeinde kann den Liturgen / die Liturgin nachahmen

4.3      Praxistipp: Reinigung von Tasten bei Instrumenten

  • Wegen Beschädigungsgefahr sollten Tasteninstrumente nicht desinfiziert werden; oberfläch­liches Abwischen erreicht nicht die seitlichen Teile der Orgel- und Klaviertastaturen, die beim Spielen berührt werden, deshalb sollten sich Spielerinnen und Spieler die Hände desinfizieren.

[1] Siehe hierzu auch: Wainwright, der auf diese Elemente innerhalb eines trinitarischen Ansatzes verweist. – Wainwright, Systematisch-theologische Grundlegung, S. 72f, in: Handbuch der Liturgik, Göttingen 2003, S. 72-94, ders. auch in: Doxology. The Praise of God in Worship, Doctrine and Life. A Systematic Theology, New York 1980.

[2] Besser ist die Rede von körperlicher Distanzierung, weil die Kirche von ihrem Auftrag her soziale Distanzierung trotz körperlichen Abstands überwinden will.

[3] Die Idee findet sich in: GOTTESDIENSTE FEIERN IN ZEITEN DER CORONA-PANDEMIE. Eine Handreichung für die Gemeinden der Evangelisch-reformierten Kirche, S. 13, pdf-Dokument, Landeskirchenamt Stand: 6. Mai 2020

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